Gute alte Zeit

Rolf Müller

Früher war alles besser. Die Sommer waren wärmer und die Winter waren kälter. Die Luft war klarer und das Wasser war sauberer. Die Vögel sangen schöner und waren zahlreicher. Die Menschen waren jünger und gesünder als heute. Es gab damals Bücher aus Papier mit harten Deckeln. Und es gab Leute, die Bücher lasen.

Die Lieder waren melodischer und man konnte sie mitsingen. Die Fahrpreise in den öffentlichen Verkehrsmitteln und die Wohnungsmieten waren billiger. Die Soldaten waren im Krieg und die Bauern auf den Feldern. Sonntags ging man in die Kirche statt das Auto zu waschen.

Es gab noch Maikäfer, Kartoffelkäfer und Feldhasen. Die Vögel zwitscherten, die Blumen dufteten, die Frösche quakten und mussten nicht über die Straße getragen werden. Die Wagen wurden von richtigen Pferden gezogen. Von den Pferdeäpfeln ernährten sich die Sperlinge.

Geheizt wurde in Öfen mit Holz und Braunkohlenbriketts. Der aus den Schornsteinen aufsteigende Rauch verbreitete im Dorf ein heimatliches Flair. Es duftete nach verbranntem Kartoffelkraut.

Es gab einen Dorfpolizist, der es im Lauf eines Jahres mit höchstens zwei Straftätern zu tun hatte. Die Arrestzelle war meistens unbesetzt. Alles ging seinen ruhigen friedlichen Gang in der guten alten Zeit. Es gab noch keinen sprachlichen Genderunsinn. Es gab Kamele und Opfer, aber keine Kamelinnen und Opferinnen. Aber Genossinnen und Genossen gab es bereits.

Die Kinder spielten Verstecken und hatten keine Handys. In ihrem kleinen Lebensmittelladen verkaufte die Kunz Klara Backaroma und Sauerkraut. Es gab im Dorf eine Drogerie, aber keine Drogen.

Die Leute atmeten überwiegend frei durch Nase und Mund und nur die Feuerwehrleute trugen gelegentlich Gasmasken. Der Postzusteller verteilte mehr Briefe als Pakete. Die Leute besuchten sich gegenseitig und bekamen Besuch. Sie gingen ins Theater und zum Friseur wann immer sie wollten. Sie gingen manchmal sogar noch nach 22 Uhr spazieren. Gute alte Zeit.

Die Hunde bellten, die Hühner gingen ins Bett und die Dorfleute saßen unter der Linde am Brunnen und sangen Volkslieder. Es war eben die gute alte Zeit.

Es gab damals noch Menschen, die man als Gentleman bezeichnen konnte. Unser Nachbar Herbert war einer. Ein Gentleman ist jemand, der Akkordeon spielen kann, es aber unterlässt.

Natürlich starben auch damals Menschen, aber das war kein Grund zur Panik. Die Leute starben bei Verkehrsunfällen, Grubenunglücken, an Krebs und an Herzinfarkt. An und mit Corona starb damals niemand. Die Todesfälle wurden auch nicht jeden Tag in den Medien nach Art von einer Kriegsberichterstattung aufgebauscht.

Wenn jemand starb, wurde der Sarg in einem prunkvollen Leichenwagen von zwei Pferden durchs Dorf gezogen. Die Trauergemeinde schritt feierlich hinter dem Wagen her. Das halbe Dorf nahm Anteil.

Nostalgie ist die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, in der man nichts zu lachen hatte. Der alte Mann gibt zu, dass er vieles durch den goldenen Rahmen der Erinnerung rosiger sieht, als es in Wirklichkeit war. Wie sieht er die Zukunft?

Der alte Mann ist Christ und lebt von den Verheißungen der Heiligen Schrift. Er wartet auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. Dann wird alles gut werden. Gott wird alle Tränen abwischen von den Augen seiner Kinder. Kein Tod, kein Leid und kein Geschrei wird mehr sein. Das Schönste kommt noch!
Die Zukunft für die Gottlosen ist wenig verheißungsvoll:

Das Gras ist rot, die Sonne blau.
Vertrocknet ist der Morgentau.
Die Fische wiehern im Gesträuch.
Wenn das geschieht, dann fürchtet euch!

 

Mit freundlicher Genehmigung
Autor: Rolf Müller