Rolf Müller
Nun waren sie nur noch elf Jünger. Judas Ischariot war hinausgegangen, um sein Werk des Verrats zu vollenden. Mit einem „nun“ beginnt Jesus seine Abschiedsrede. Nun geht er in sein Leiden und Sterben hinein. Nun kann er seinen Jüngern etwas Herrliches voraussagen. „Nun ist des Menschen Sohn verklärt.“ Hinter der finsteren Tiefe leuchtet schon die lichte Höhe auf. Scheinbar ist es aus mit Jesus. Aber im Unterliegen siegt er.
Der alte Mann nimmt zur Kenntnis, dass Jesus sein Leiden Verklärung nennt. Er hat seinen vollkommenen Gehorsam bis zuletzt bewiesen. Nun wird Gott in ihm verklärt. Durch den Tod des Gerechten geschieht die Versöhnung. Durch den Tod Christi wurde unser tiefer Fall geheilt. Jesus Christus hat sich freiwillig erniedrigt. Er wurde gehorsam bis zum Tod. Deshalb hat ihm auch Gott einen Namen gegeben, der über alle Namen ist.
Der alte Mann registriert, dass Jesus seine Jünger als Kinder bezeichnet. So hatte er sie bisher noch nie angeredet. Darin drückt sich auch der unbefestigte Stand der Jünger im Glauben aus. Kinder sind keine Helden. „Ich bin nur noch eine kleine Weile bei euch.“ Die Jünger werden ihn schmerzlich vermissen. Aber die Trennung soll keine ewige sein.
Der alte Mann kann verstehen, dass diese Rede für die Jünger schmerzlich war. Jahrelang waren sie bei ihm. Er sorgte für sie. Nun sollte er ihnen genommen werden. Sie werden als Waisen dastehen. Die Trennung von Jesus bereitet ihnen Kummer. Das ist ein Zeichen, dass sie ihn lieb haben.
In diesem feierlichen Augenblick hinterlässt ihnen der Herr ein Vermächtnis. „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander lieben sollt, damit, wie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“
Wir wissen, dass wir aus dem Tod ins Leben gekommen sind. Wieso? Wir lieben die Brüder. Wie Christus uns geliebt hat, so lieben wir uns untereinander. Das ist das Neue an diesem Gebot. Wir sind durch Jesus Christus Glied der großen Gottesfamilie. Diese Liebe erweitert sich zur Nächsten- und Feindesliebe. Vorbild ist die Liebe Christi. „Wie ich euch geliebt habe.“ Unsere Liebe soll sich an der Liebe Jesu orientieren.
Der alte Mann liest, dass sich Petrus zu Wort meldet. Ihn beschäftigt das Wort von der Trennung. Damit kann er sich nicht abfinden. Herr, wo gehst du hin? Wieso willst du dich von uns trennen? Ich will mitgehen! Ich bin bereit, mein Leben für dich zu lassen! Der Herr Jesus erklärt dem Petrus, dass das nicht geht. Du kannst nicht! Er holt Petrus auf den Boden der Tatsachen zurück. „Dein Leben willst du für mich lassen? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, der Hahn wird nicht krähen, bis du mich dreimal verleugnet hast.“
Jesus weiß genau, was in dieser Nacht geschehen wird. Die dreimalige Verleugnung kündigt er hier zum ersten Mal an. Als Zeichen gibt er Petrus den Hahnenschrei.
Petrus schweigt. Er ist verstimmt und verstummt. Die Rede Jesu ist ihm rätselhaft. Die anderen Jünger stehen erschrocken da. Wenn der „Fels“ Petrus schon wankt und weicht, was soll dann erst aus uns werden? Sie sind von einer bangen Ahnung erfüllt. Was wird noch alles auf uns zukommen?
Legt es unter euch, ihr Glieder,
auf so treues Lieben an,
dass ein jeder für die Brüder
auch das Leben lassen kann.
So hat uns der Freund geliebet,
so vergoss er dort sein Blut;
denkt doch, wie es ihn betrübet,
wenn ihr euch selbst Eintrag tut.
Liebe, hast du es geboten,
dass man Liebe üben soll,
o so mache doch die toten,
trägen Geister lebensvoll.
Zünde an die Liebesflamme,
dass ein jeder sehen kann:
wir, als die von einem Stamme,
stehen auch für einen Mann.
Lass uns so vereinigt werden,
wie du mit dem Vater bist,
bis schon hier auf dieser Erden
kein getrenntes Glied mehr ist,
und allein von deinem Brennen
nehme unser Licht den Schein;
also wird die Welt erkennen,
dass wir deine Jünger sein.
(N. L.. von Zinzendorf).
Mit freundlicher Genehmigung
Autor: Rolf Müller