Der alte Mann und die Geißelung Jesu

Rolf Müller

„Da nahm Pilatus Jesus und geißelte ihn“ (Joh. 19,1). Der Evangelist Johannes beschreibt die Geißelung nicht, er erwähnt sie nur. Es ist ihm unmöglich, das Entsetzliche zu schildern. Pilatus hatte die törichte Hoffnung, mit der Geißelung die Wut des Volkes zu besänftigen. Er wollte das Volk dazu bringen, von der Tötung Jesu abzusehen.

Der Herr Jesus hat die Geißelung freiwillig, ohne ein Wort der Widerrede, erduldet. Dann wurde er verhöhnt. Die Kriegsknechte flochten eine Dornenkrone und drückten sie ihm aufs Haupt. Sie zogen ihm ein Purpurkleid an. Sie spotteten: Sei gegrüßt, lieber Judenkönig! Sie gaben ihm Backenstreiche. Sie spuckten ihn an. Schweigend ließ sich der Herr krönen und verhöhnen. Still ertrug er die Rohheiten seiner Peiniger.

„Da er gequält und gemartert ward, tat er seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird“ (Jesaja 53, 7). Das tat er für uns. Er erduldete unsere Strafe. Pilatus führte den entstellten Jesus heraus und stellte ihn vor das Volk. „Seht, ich führe ihn heraus zu euch, damit ihr seht, dass ich keine Schuld an ihm finde“ (V.4). Er wollte sagen: Dieser Mensch ist kein Verbrecher. „Seht, welch ein Mensch!“, rief Pilatus, halb mitleidig, halb verächtlich. Ein Mensch wie wir, und doch das Ebenbild des unsichtbaren Gottes. Pilatus sprach: Nehmt ihr ihn hin und kreuzigt ihn, denn ich finde keine Schuld an ihm. Er spricht den Unschuldigen frei. Er will ihn los sein. Aber er kann den Hass der Menge nicht ändern. Er fürchtet sich. Er geht wieder ins Richthaus. Er fragt Jesus: „Von wannen bist du?“ Jesus aber gibt ihm keine Antwort. Pilatus ist gekränkt. „Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich zu kreuzigen und Macht habe, dich loszugeben?“ (V. 10). Pilatus stellt seine Macht in den Vordergrund. Jesus sagt: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben herab gegeben wäre. Darum, der mich dir überantwortet hat, der hat größere Sünde“ (V. 11).

Alles nimmt Jesus aus des Vaters Hand. Die Sünde des Pilatus war groß, aber noch größer war die Sünde des Volkes, des Hohepriesters Kaiphas und des Hohen Rats. Sie handelten aus Bosheit und nicht aus Feigheit wie Pilatus. Die Juden kannten die Schwäche des Pilatus. Sie setzten ihn unter Druck: „Lässt du diesen los, so bist du des Kaisers Freund nicht; denn wer sich zum König macht, ist wider den Kaiser!“ Pilatus sah sein Amt bedroht. Er gab seinen Widerstand auf. „Da Pilatus das Wort hörte, führte er Jesus heraus und setzte sich auf den Richtstuhl an der Stätte, die da heißt Hochpflaster, auf Hebräisch aber Gabbatha.“ (V.13).

Pilatus macht einen letzten Versuch, das Volk umzustimmen. „Seht, da ist euer König!“ (V.14). Das heilige Osterlamm steht zur Schlachtung bereit. Es war vor Grundlegung der Welt ausersehen, die Sünden der Welt zu tragen. „Sie schrien aber: Hinweg mit diesem, kreuzige ihn! Spricht Pilatus zu ihnen: Soll ich euren König kreuzigen? Sie schrien: Wir haben keinen König denn den Kaiser!“ Pilatus gab klein bei. „Da überantwortete er ihn, dass er gekreuzigt würde.“

 

O Haupt voll Blut und Wunden,
voll Schmerz und voller Hohn,
o Haupt, zum Spott gebunden
mit einer Dornenkron,
o Haupt, sonst schön gezieret
mit höchster Ehr und Zier,
jetzt aber hoch schimpfieret,
gegrüßet seist du mir!

Du edles Angesichte,
davor sonst schrickt und scheut
das große Weltgewichte,
wie bist du so bespeit,
wie bist du so erbleichet!
Wer hat dein Augenlicht,
dem sonst kein Licht nicht gleichet,
so schändlich zugericht?

Nun, was du, Herr, erduldet,
ist alles meine Last;
ich hab es selbst verschuldet,
was du getragen hast.
Schau her, hier steh ich Armer,
der Zorn verdienet hat.
Gib mir, o mein Erbarmer,
den Anblick deiner Gnad!

Wenn ich einmal soll scheiden,
so scheide nicht von mir,
wenn ich den Tod soll leiden,
so tritt du dann herfür;
wenn mir am allerbängsten
wird um das Herze sein,
so reiß mich aus den Ängsten
kraft deiner Angst und Pein.

(Paul Gerhardt).

 

Mit freundlicher Genehmigung
Autor: Rolf Müller