Der alte Mann und der Stellenwert des Gebets

Rolf Müller

Die Reihenfolge der Dinge, die in Apostelgeschichte 2, 42 genannt werden, ist wichtig. Es steht nicht dort: „Sie verharrten aber in den Gebeten, und im Brechen des Brotes und in der Gemeinschaft und in der Lehre der Apostel.“ So müsste es richtig heißen, wurde dem alten Mann gesagt. Aber das stimmt nicht. Ob es uns gefällt oder nicht, an der ersten Stelle steht die Lehre der Apostel. Sie bestimmt alles andere.

Das Wesen der Gemeinschaft wird von der Lehre bestimmt. Zur Gemeinschaft gehören Leute, die dieselben Dinge glauben und die gleiche Gesinnung haben. Durch die Lehre erkennen wir den Sinn von Brot und Wein im Abendmahl. Das trifft auch auf das Gebet zu. Wir müssen uns unter das Wort der Bibel beugen.

Dem alten Mann fällt auf, dass Gebetsstunden heute nicht mehr zeitgemäß sind. Man findet sie altmodisch. Das kann man dem modernen Menschen nicht zumuten. Gesellige und flotte Veranstaltungen, ja, aber doch keine Gebetsstunden! Und doch verharrten die ersten Christen täglich in den Gebeten. War das verkehrt?

Es herrscht die Meinung, wenn man sich nicht in der Lehre einigen kann, könne man wenigstens zusammen beten. Fangen wir mit dem Gebet an, darin sind wir uns alle einig.

Aber das geht nicht. Man würde das Gebet über die Lehre stellen. Man würde mit dem Gebet anfangen in der Hoffnung, irgendwann auch Einigkeit in der Lehre zu erzielen. In der ersten Gemeinde betete man zusammen, weil man sich über die Lehre einig war. Die Lehre bestimmt das Gebet. Wo man sich von Gottes Reihenfolge in der Bibel verabschiedet, geht der Segen verloren.

Gebet gründet sich auf biblische Lehre. Die ersten Christen begannen mit der Lehre der Apostel und das führte sie zum Gebet. Beten bedeutet nicht, nur Gebete zu sprechen. Manche leiern das Vaterunser herunter und glauben, gebetet zu haben Der alte Mann sagt nicht, dass man das Vaterunser nicht beten soll. Es kommt darauf an, wie man es tut. Die ersten Christen lasen keine geschriebenen Gebete ab. Sie beteten spontan, bereitwillig und nacheinander.

Beten heißt, in die Gegenwart Gottes zu kommen. Wir beten Gott an. Wir danken ihm für alles, was er an uns tut. Wir schütten unser Herz vor ihm aus. Wir beugen uns vor seiner Größe und Herrlichkeit.

Warum beten Christen? Warum beschränken sie sich nicht darauf, auf die Lehre der Apostel zu hören? Warum genießen sie nicht einfach die Gemeinschaft und das Abendmahl? Warum beten sie? Weil sie erkennen, dass sie Barmherzigkeit und Vergebung nötig haben. Sie wissen um ihre Sünde und ihr Versagen. Das treibt sie ins Gebet. Wer sich für gerecht hält, betet nicht.

All das moderne Gerede: „Wir können zumindest zusammen beten!“ ist gedankenlos. Als ob Gebet die leichteste Sache der Welt wäre. Gebet ist die schwierigste Sache der Welt! Wir brauchen Anleitung. Das ist der Grund, warum die Lehre der Apostel immer am Anfang stehen muss. Gedankenloses Beten verletzt die Heiligkeit Gottes. Wir können nicht einfach hinrennen und ein Gebet sprechen. Gebet bedeutet, in Gottes Gegenwart zu treten. Wir können uns Gott nur durch Jesus Christus, den Gekreuzigten nähern.

 

Ich will beten, Gott wird hören,
denn er hat es zugesagt.
Mich soll Zweifel nicht betören,
und ich werde nicht verzagt,
wenn er nicht zu hören scheint;
denn ich weiß wohl, wie er´s meint;
es soll die Geduld sich mehren.
Ich will beten, Gott wird hören.

Ich will beten, Gott wird stärken,
wenn der Glaube wanken will.
Werd ich Unglückswetter merken,
ist Gebet mein Saitenspiel.
Beten in des Glaubens Kraft
ist des Christen Ritterschaft.
Hab ich Gott bei meinen Werken,
will ich beten, Gott wird stärken.

Ich will beten, Gott wird retten,
ich will, neigt sich mein Lebenslicht,
in des Vaters Schoß mich betten
mit Gebet und Zuversicht.
Wer im Sterben beten kann,
ist gewiss recht wohl daran
und zerreißt des Todes Ketten.
Ich will beten, Gott wird retten.

(Gottfried Gottschling).

 

Mit freundlicher Genehmigung
Autor: Rolf Müller