Der alte Mann und Bethanien (Joh. 11, 1-10)

Rolf Müller

Bethanien muss ein lieblicher Ort gewesen sein. Der Herr Jesus kehrte oft dort ein. Er besuchte die Geschwister Martha, Maria und Lazarus. Sie glaubten an ihn. Sie gehörten zu den Stillen im Lande, die auf den Trost Israels warteten.

Der alte Mann kann die Not der Geschwister nachempfinden, als Lazarus plötzlich krank wurde. Je weiter die Krankheit fortschritt, desto größer wurde die Angst. Ihre einzige Zuflucht war Jesus. Sie wussten, er würde sie nicht in ihrer Not sitzen lassen. Aber er war nicht da. Er war weit fort. Sie waren sich sicher, wenn er von ihrer Not wüsste, würde er sofort helfen. Sie schickten Boten zu ihm.

Der alte Mann sieht den Glauben der Geschwister. Sie setzten ihr Vertrauen auf den Herrn Jesus. Mit Lazarus ging es zu Ende. Nur Jesus konnte noch helfen, vielleicht sogar mit einem Wort aus der Ferne. Wenn er doch käme! Für die Geschwister war es eine schreckliche Wartezeit! Endlich kam der Bote, aber ohne den Herrn. Er brachte eine Nachricht mit: „Die Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Ehre Gottes, dass der Sohn Gottes dadurch geehrt werde.“ Aber Lazarus starb. Die Schwestern standen vor einem Rätsel. Es war eine schwere Anfechtung für sie. Hatte sie der Herr Jesus im Stich gelassen? „Die Krankheit ist nicht zum Tode!“ Und nun standen sie vor der Leiche ihres Bruders. Das Gegenteil von dem, was der Herr gesagt hatte, war eingetreten.

Der alte Mann kann sich gut in die Lage von Martha und Maria versetzen. Er sieht den Widerspruch in den Versen 5 – 6: „Jesus aber hatte Martha lieb und ihre Schwester und Lazarus. Da Jesus hörte, dass Lazarus krank war, blieb er zwei Tage an dem Ort, da er war.“ Es müsste doch heißen: „Da eilte er nach Bethanien!“ Stattdessen ließ er Lazarus sterben. Und er schickte den Schwestern das seltsame Wort: „Die Krankheit ist nicht zum Tode.“ Das vergrößerte noch die Not der Schwestern. Sie verstanden gar nichts mehr.

Auch der alte Mann hat schon ähnliche Erfahrungen machen müssen. Er hatte manchmal den Eindruck, dass der Herr, statt zu helfen, ihn in seiner Not sitzen lässt. Es geschieht nichts. Es ändert sich nichts. Die Liebe des Herrn stellt sich lieblos dar. Ist der Herr grausam aus Mitleid? Ist er untreu in seiner Treue? Warum hilft er nicht? Fragen über Fragen!

Mit Tränen in den Augen muss ein Kind Gottes manchmal bekennen: Des Herrn Rat ist wunderbar und er führt es herrlich hinaus. Wer sich auf den Herrn verlässt, wird nicht zuschanden werden!

Der alte Mann liest: Danach, nach zwei Tagen, eilte der Herr nach Bethanien. Nicht früher und auch nicht später. Es ist gut, das Vertrauen nicht wegzuwerfen. Es hat eine große Belohnung!

 

Warum sollt ich mich denn grämen?
Hab ich doch Christus noch, wer will mir den nehmen?
Wer will mir den Himmel rauben,
den mir schon Gottes Sohn beigelegt im Glauben?

Gut und Blut, Leib, Seel und Leben
ist nicht mein, Gott allein ist es, der’s gegeben.
Will er ´s wieder zu sich kehren,
nehm er ´s hin; ich will ihn dennoch fröhlich ehren.

Unverzagt und ohne Grauen
soll ein Christ, wo er ist, stets sich lassen schauen.
Wollt ihn auch der Tod aufreiben,
soll der Mut dennoch gut und fein stille bleiben.

Kann uns doch kein Tod nicht töten,
sondern reißt unsern Geist aus viel tausend Nöten,
schließt das Tor der bittern Leiden
und macht Bahn, da man kann gehn zu Himmelsfreuden.

Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden,
du bist mein, ich bin dein,  niemand kann uns scheiden.
Ich bin dein, weil du dein Leben
und dein Blut mir zugut in den Tod gegeben;

du bist  mein, weil ich dich fasse
und dich nicht, o mein Licht,  aus dem Herzen lasse.
Lass mich, lass mich hingelangen,
da du mich und ich dich leiblich werd umfangen.

(Paul Gerhardt).

 

Mit freundlicher Genehmigung
Autor: Rolf Müller