Der alte Mann und Pharisäer und Zöllner (Lukas 18, 9-14)

Rolf Müller

Wir begegnen hier einem selbstbewussten und einem schuldbewussten Menschen. Ein größerer Gegensatz ist kaum denkbar. Das Gebet des Zöllners ist kurz und wahrhaftig. Er ist demütig vor Gott. Er beschönigt nichts. Das Gebet des Pharisäers ist umfangreich, unwahrhaftig und hochmütig.

Auch wir müssen aufpassen, dass wir nicht in eine pharisäische Gesinnung geraten. Wir müssen darauf achten, nicht selbstgefällig zu werden. Wir müssen in Demut wandeln und beten.

Es besteht die Gefahr, dass unser Gebet nicht an Gott gerichtet ist, sondern dass wir bei Menschen einen guten Eindruck machen wollen. Wir beten bei uns selbst. Wir sagen das Gebet gewohnheitsmäßig her und vergessen, dass wir zu Gott reden. Ein Gebet bei uns selbst ist wertlos. Dem Hochmütigen widersteht Gott. Dem Demütigen gibt er Gnade. Wir alle sind auf die Gnade Gottes angewiesen.

Das Gebet des Pharisäers strotzt vor Eigenlob. Er hält sich für besser als andere. Er will nicht wahrhaben, dass auch bei ihm so Einiges im Argen liegt.

Der Zöllner ist sich im Klaren, dass er auf die Gnade Gottes angewiesen ist. Er versucht gar nicht erst, irgendwelche Verdienste vor Gott geltend zu machen. Er demütigt sich vor Gott, um Vergebung zu erlangen.

Obwohl der Pharisäer ein Gebet sprach, redete er nicht wirklich mit Gott. Er rühmt seine fromme Lebensweise. Er vergleicht sich mit den Menschen seiner Umgebung. Er ist stolz, besser zu sein. Seine Selbstzufriedenheit zeigt sich im häufigen Gebrauch des Wortes „Ich“.

Ganz anders der Zöllner. Er stand vor Gott. Er bekannte seine ganze Unwürdigkeit. Er war tief demütig. Er wollte nicht einmal die Augen aufheben zum Himmel. „O Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig!“ Er hielt sich nicht für würdig, auch nur das Geringste von Gott zu erhalten. Das erinnert an den verlorenen Sohn, der nicht um sich, sondern in sich schlug: „Vater, ich habe gesündigt!“ Gott erhöht die Demütigen. Er demütigt die, die sich selbst erhöhen.

Der alte Mann liest in 3. Mose 13, dass jemand unrein ist, bei dem ein Teil des Körpers vom Aussatz befallen ist. Einer, dessen ganzer Körper weiß von Aussatz ist, wird rein gesprochen. Vielleicht kann man das mit unserem Text insofern in Verbindung bringen, dass man sich als ganz verloren sehen muss, um dann vom Heiland gerettet zu werden. Wer glaubt, noch reine Stellen zu haben und nicht völlig vom Aussatz der Sünde befallen zu sein, ist auf dem Holzweg. Wer glaubt, etwas zu seiner Rettung beitragen zu können, liegt falsch. Vor Gott ist ein menschliches Mitwirken an der Erlösung ausgeschlossen.

Der Herr Jesus Christus hat am Kreuz von Golgatha sein Blut vergossen und eine völlige Erlösung von der Sünde und vom Gericht vollbracht. Eine „Mischfinanzierung“ ist weder nötig noch möglich.

Wer ging in unserem Text gerechtfertigt hinab in sein Haus? Es ist nicht der Pharisäer, der seine guten Taten ins Feld führt. Es ist der Zöllner, der sich als durch und durch aussätzig erkennt. Er weiß, dass er nichts als ein Sünder ist. Er wird von Gott gerechtfertigt. Unsere eigene Gerechtigkeit, auf die wir uns oft etwas einbilden, ist vor Gott nichts als ein „unflätiges Kleid“.

 

Christi Blut und Gerechtigkeit,
das ist mein Schmuck und Ehrenkleid,
damit will ich vor Gott bestehn,
wenn ich zum Himmel werd eingehn.

Ich glaub an Jesus, welcher spricht:
Wer glaubt, der kommt nicht ins Gericht.
Gottlob, ich bin schon frei gemacht,
und meine Schuld ist weggebracht.

Und würd ich durch des Herrn Verdienst
auch noch so treu in seinem Dienst,
gewönn den Sieg dem Bösen ab
und sündigte nicht bis ins Grab:

So will ich, wenn ich zu ihm komm,
nicht denken mehr an gut und fromm,
sondern: Da kommt ein Sünder her,
der gern ums Lösgeld selig wär.

(Nikolaus Ludwig von Zinzendorf).

 

Mit freundlicher Genehmigung
Autor: Rolf Müller